„Die Ereignisse um die Rosenstraße machten eins für mich klar:
Ich warte nicht, bis wir deportiert werden."

Wie wird Geschichte erinnert und erzählt? – Ein Film über einen schwulen Zeitzeugen

Gad Beck ist wohl eine der schillerndsten und facettenreichsten Persönlichkeiten deutsch-jüdischer Zeitgeschichte.

Als homosexueller und jüdischer Jugendlicher überlebte Gad Beck den Nationalsozialismus. Zu einem Schlüsselerlebnis geriet ihm die Deportation seines ebenfalls jüdischen Liebhabers Manfred Lewin. Die Familie Lewin überlebte den Holocaust nicht: Alle Familienmitglieder wurden in Auschwitz ermordet.

Als inhaftierter sogenannter „jüdischer Mischling“ erlebte Gad Beck die einzigartigen Ereignisse um das Sammellager Rosenstraße, wo tagelang Hunderte Menschen erfolgreich für die Freiheit ihrer jüdischen Angehörigen demonstrierten. Nach seiner glücklichen Freilassung schloss sich Gad Beck seinen bereits untergetauchten Freunden des „Chug Chaluzi“ an. 1944 wurde er Leiter dieser illegalen zionistischen Jugendgruppe, die das Überleben zahlreicher JüdInnen in Berlin organisierte.

Die Kraft und Energie für sein Überleben und Engagement bezieht Gad Beck bis heute aus seiner offen gelebten Homosexualität, die er trotz seines Alters mit Charme provokant und freizügig zu schildern weiß.

Gad Beck liest aus einem Gedichtbändchen Manfreds.

Als meisterhafter Geschichts- und sprühender Geschichtenerzähler war Gad Beck von Alfred Biolek bis zum Holocaust Memorial Museum in Washington ein gerne geladener Zeitzeuge. Dies umso mehr, als sich seine Schilderungen einer ritualisierten, „politisch korrekten“ Betroffenheit widersetzen und eine außergewöhnliche Perspektive auf die deutsch-jüdische Vergangenheit eröffnen.

Der Film erzählt jedoch nicht nur das Leben des Gad Beck und die Geschichte des Chug Chaluzi, sondern wirft immer wieder die Frage danach auf, wie Geschichte erinnert, verarbeitet und erzählt wird – sei es von ihren ProtagonistInnen, sei es durch verschiedene gesellschaftliche Erinnerungsinstanzen. Aus diesem Grund werden die unterschiedlichen, zum Teil widersprüchlichen Erinnerungen der Zeitzeugen mit Ausschnitten aus Spielfilmen, Talkshows und Gedenkveranstaltungen kontrastiert. Es scheint, dass Gad Beck um der Pointierung seiner Geschichten willen gelegentlich den Boden historischer Wahrheit verlässt. Er erfüllt damit vor allem ein Bedürfnis seiner Zuhörerschaft bzw. all jener Erinnerungsinstanzen, die, auf der Suche nach dem Dramatisch-Spektakulären und der Einschaltquote, Geschichte auf besondere Weise erzählt bekommen wollen. Es wird deutlich, dass Geschichte nicht nur in einem Spielfilm wie „Die Rosenstraße“ (von Trotta, Deutschland 2003) oder in den Produktionen eines Steven Spielberg, sondern bereits in den Erinnerungen der Zeitzeugen selbst fiktionalisiert wird.

In einer solchen Situation erscheinen die klassischen Strategien der scheinbar authentischen dokumentarischen Erzählung als fragwürdig. Konfrontiert mit den historischen Widersprüchlichkeiten und den Erinnerungen Gad Becks entpuppt sich so auch ein unter anderem auf der Grundlage seiner Erzählungen entwickeltes „rein dokumentarisches Theaterstück“ als durchaus problematische Inszenierung eines zweifelhaften „So-war-es“.

Gad Beck zu Gast bei Boulevard Bio

Gad Beck auf dem CSD in Köln

 

Die Befreiung Manfreds wird nachgestellt und ...

 

Im Gegensatz zu solchen problematischen Wahrheits-Strategien des Dokumentarischen offenbart der Film von Anfang an seine Konstruiertheit und seine Produktionsverfahren. In einem ironischen Bezug auf das Format der Doku-Fiktion lässt der Film Gad Beck selbst als Regisseur einzelner Spielsequenzen in Erscheinung treten, in denen er bestimmte, historisch fragliche Momente seiner Geschichte selbst inszenieren kann.

Der Film dekonstruiert zwar die Erzählungen des Gad Beck und der angeschlossenen gesellschaftlichen Erinnerungsmaschinen, doch gleichzeitig nähert er sich auch dem „privaten“ Menschen Gad Beck, seinem Witz und Mut, seinen Eitelkeiten, seiner Offenheit und seinen tatsächlichen Verletzungen. Dem Film geht es um die Widersprüchlichkeit gelebten Lebens.

Das präsentierte Material und unsere Fragen daran stellen offene Interpretationsangebote dar, die die BetrachterInnen dazu einladen, eigene Schlussfolgerungen aus der Biographie Gad Becks zu ziehen. Wir glauben, dass es das ist, was ein Dokumentarfilm heute leisten sollte.

... Gad Beck gibt Regieanweisungen.

Gad Beck inszeniert eine erotische Begegnung aus seiner Zeit als Zwangsarbeiter.